hr-iNFO Büchercheck: Die Chance von Stewart O'Nan

hr-iNFO Büchercheck: Die Chance von Stewart O'Nan

21.08.2014

Seit fast 20 Jahren ist der US-amerikanische Autor Stewart O`Nan bei uns in Deutschland bekannt. In dieser Zeit erschienen zahlreiche Romane von ihm. Sein Thema ist immer wieder der amerikanische Mittelstand, der langsame Untergang dieser Schicht. Auch jetzt wieder, in seinem neuesten Roman „Die Chance“.
hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat ihn gelesen.

Worum geht es?
Art und Marion, seit 30 Jahren verheiratet, sind um die 50 und offenbar am Ende. Mit ihrer Ehe und ihren Finanzen. Opfer der Finanzkrise. Sie haben sich finanziell übernommen mit ihrem Haus, die Jobs verloren, sind überschuldet. Sie waren sich untreu, wollen sich scheiden lassen. Aber eine Chance sehen sie noch für sich. Art und Marion wiederholen ihre Hochzeitsreise zu den Niagara Fällen. Sie beschwören nochmal den romantischen Glücksmoment ihres Lebens. Art will die Ehe noch retten, beide wollen beim Glücksspiel cash machen, um die Schulden los zu werden. Ein melancholischer Roman, durchaus traurig, aber einer mit Hoffnung.

Wie ist es geschrieben?
O´Nan hat einen typisch amerikanischen Gesellschaftsroman geschrieben, zumindest was den Stoff betrifft. Aber wie er ihn schreibt, das ist schon sehr eigen. Nicht weitschweifig, opulent wie manche seiner Kollegen. O´Nan schreibt einen reduzierten Stil. Er guckt seinen Protagonisten auf die Finger und auf den Mund, er beschreibt ihre Bewegungen und er beschreibt die Kulissen, in denen sie sich bewegen: ganz genau, detailliert, aber eher knapp protokollierend als schwelgend, fast nüchtern, minimalistisch. Zum Beispiel, wenn Marion eine Art Lebensbilanz zieht.
„Was hatte sie aus ihrem Leben gemacht? Einen Augenblick fiel ihr nichts ein. Sie hatte geheiratet und Kinder zur Welt gebracht. Eine Liebesaffäre, kurz und schlimm. Sie hatte sich niedergelassen, hatte gearbeitet, gespart und war gereist. Alles mit ihm. Für ihn, wegen ihm, ihm zum Trotz. Am Anfang hatte sie, weil sie damals noch ein junges Mädchen war, geglaubt, sie wären Seelenverwandte und deshalb etwas Besonderes, besser als die anderen Paare, die sie kannten.“

Wie gefällt es?
Ich finde, das ist ein gutes Buch. Der Stoff ist interessant. Denn dieser Roman ist ganz nah bei den Menschen, um die es geht. Er bilanziert 30 Jahre eines Mittelklasse-Paares, er verdichtet eine gesellschaftliche Entwicklung, er kontrastiert die Mythen der US-Gesellschaft mit der nackten Realität des 2. Jahrtausends. O´Nan zieht seinen Figuren schonungslos die Tarnkappe vom Körper, legt ihre Fehler und Schwächen offen. Aber voller Sympathie lässt er sie trotzdem ihren Überlebenskampf mit Würde bestreiten. Dieser Roman ist traurig und zugleich hoffnungsvoll. Ein kunstvolles Buch, ein analytisches Buch, ein unterhaltendes Buch. Eben ein gutes Buch.

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gebundenes Buch, 224 S.
Sprache: Deutsch
Rowohlt Verlag
ISBN: 9783498050429