hr-iNFO Büchercheck: Über den Winter von Rolf Lappert

hr-iNFO Büchercheck: Über den Winter von Rolf Lappert

05.11.2015

„Über den Winter“ heißt der neue Roman von Rolf Lappert, ein Autor aus der Schweiz, der auch in Deutschland einen Namen hat. hr-iNFO Bücherchecker Frank Statzner hat den Roman gelesen.

Worum geht es?
Was bleibt einem, wenn die Karriere ins Leere läuft, wenn die Beziehungen gescheitert sind und das Alter spürbar wird? Darüber schreibt Rolf Lappert und lässt seinen Helden in seiner Familie landen, vor der er mal geflohen war. Salm, der kreative, lange international erfolgreiche, aber bindungsunfähige Mann Ende 40 ist künstlerisch und menschlich am Ende. Irgendwo an einer Mittelmeerküste ist er abgetaucht im Haus seines Managers und Mäzens. Am Strand sammelt er Strandgut von Flüchtlingsbooten für eine neue Installation. Da entdeckt er in einem Boot die Leiche eines kleinen Mädchens. So mit der grausamen Wirklichkeit konfrontiert, kehrt er sich ab von seinem Kunstprojekt. Gleichzeitig trifft ihn die Nachricht vom Tod seiner herzkranken älteren Schwester. Nach Jahren fliegt er erstmals wieder nach Hause, nach Hamburg, besucht seinen alten Vater und seine geliebte jüngere Schwester, trifft seine verhasste Mutter und einen ungeliebten Halbbruder.

Wie ist es geschrieben?
Der Roman ist eine Familiengeschichte in sechs Kapiteln mit einer klaren Dramaturgie und einem klaren Ziel. In der Summe entstehen immer wieder starke Stimmungen der Verunsicherung, Einsamkeit, Melancholie. Die Wirkung dieses Erzählens ist nachhaltig, zum Beispiel als Salm im Haus seines Vaters eine Greisin besucht, die er seit Jahrzehnten kennt.
„Ihr weißes Haar hatte einen leichten Gelbstich, wie er sich auf alte Fotos legte. Sie war nie eine schöne Frau gewesen, nicht einmal hübsch, das hatte Salm schon als Junge entschieden. Aber jetzt, da ihr ehemals Respekt einflößender Körper ebenso geschrumpft war wie ihre Kraft und Lebenstüchtigkeit, trat etwas an die Stelle des Verschwundenen, für das Salm nur der Ausdruck Anmut einfiel, das jedoch mehr war und tragischer, nämlich ein allerletztes Aufblühen von Würde, ein sich Ausliefern und Hingeben, unfreiwillig und widerspenstig und doch gefasst, beinahe demütig.“

Wie gefällt es?
Die Wandlung Salms vom irrlichternden Künstler zum emphatischen Sohn wirkt ein wenig konstruiert und gefühlig. Und trotzdem funktioniert dieser Roman. Man muss sich nur einlassen, dann ist „Über den Winter“ schon die richtige Lektüre für die kommenden langen Abende.

hr-iNFO

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gebundenes Buch, 384 S.
Sprache: Deutsch
Carl Hanser Verlag GmbH & Co.KG
ISBN: 9783446249059