Tausendundein Granatapfelkern von Marjan Kamali

“Hanauer Kanon der Literatur“: In diesem Buch stellen 100 Hanauer Persönlichkeiten ihre ganz besondere Leseempfehlung vor. Es wurde 2014 vom Buchladen herausgegeben und ist nur hier erhältlich. Der folgende Text ist der Beitrag von Fosia Musharraf:

Mit Bindestrich-Identitäten kenne ich mich aus.

Geboren in Hanau als Tochter pakistanischer Migranten, deren Vorfahren bei der Teilung British Indiens im Jahre 1947 von Delhi nach Karachi ausgewandert sind, liegt mir das Wandern zwischen den Welten im Blut. Aus diesem Grund greife ich intuitiv meist zu Romanen, deren Figuren ihren Platz, ihren festen Halt suchen und doch ahnen, dass ihre Lebensaufgabe darin besteht, sich immer wieder zwischen verschiedenen Identitäten zu positionieren und zwischen diesen zu vermitteln.

„Sie wusste, wie man sich auf den Bindestrich schwang, der gleichzeitig bestimmte und bestritt, wer sie war: Irano-Amerikanerin. Weder das erste noch das zweite Wort gehörte richtig zu ihr. Ihr Platz war auf dem Bindestrich, und dort würde sie bleiben und sowohl Erinnerungen an den Ort mit sich herumtragen, von dem sie stammte, als auch an den, am dem sie sich durchsetzten musste. Der Bindestrich gehörte ihr – ein knapper, potenziell gefährdeter Raum.“

So treffend beschreibt Mina, die bald 25-jährige Protagonistin des Romans Tausendundein Granatapfelkern ihr Ringen um eine stabile Identität. Eine gemeinsame Reise mit ihrer Mutter in den heutigen, vor vielen Jahren fluchtartig verlassenen, Iran führt Mina zu ihrem Kind-Ich zurück. Sie begegnet Menschen, welche ihr Gefühl der inneren Zerrissenheit aus den unterschiedlichsten Gründen nachempfinden können. Das Verhältnis zu ihrer Mutter verändert sich zum Besseren. Und schließlich gelingt es Mina endlich, wirklich heimzukehren, ihren Platz zu finden:

„Auf dem Bindestrich würde sie sitzen, auf dem Bindestrich würde sie stehen, und schon bald würde sie darauf wie eine routinierte Akrobatin balancieren und nie abstürzen, nie eine Seite bevorzugen, immer zufrieden damit sein, sich auf diesem schmalen Grat zu bewegen.“