Die blaue Galeere (kartoniertes Buch)

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783442734887
Sprache: Deutsch
Seiten: 416 S.
Fomat (h/b/t): 2.7 x 18.6 x 11.7 cm
Bindung: kartoniertes Buch

Beschreibung

Im Genua der Renaissance: eine Geschichte von Liebe und von der Liebe zur Kunst. Der von der Inquisition verfolgte flämische Maler Jan Massys findet 1550 Zuflucht in der Hafenstadt Genua. Er, der Frau und Kinder in Antwerpen zurücklassen musste, scheint alles verloren zu haben - da erhält er völlig überraschend den Auftrag, das Porträt des mächtigsten Mannes der Stadt zu malen. Massys ahnt nicht, dass der Auftrag sein Leben für immer verändern wird

Autorenportrait

Henning Boëtius (1939-2022), wuchs auf Föhr und in Rendsburg auf und lebte zuletzt in Berlin. Er studierte Germanistik und Philosophie und promovierte 1967 mit einer Arbeit über Hans Henny Jahnn. Boëtius war Verfasser eines vielschichtigen Werkes, das Romane, Essays, Lyrik und Sachbücher umfasst. Sein Roman "Phönix aus Asche" wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Bekannt wurde er außerdem durch seine Kriminalromane um den eigenwilligen niederländischen Kommissar Piet Hieronymus.

Leseprobe

1 Er wusste genau, wie das Meer aussah, obwohl er tief verborgen in einer dunklen Mauernische stand, regungslos, ein steinerner Schatten im Schatten der Steine, von keinem Passanten bemerkt, nur von einer kleinen, räudigen Katze, die seine Stiefelspitze leckte. Wind war aufgekommen, auch wenn man hier in den Gassen nichts von ihm spürte. Doch er fühlte ihn mit dem ganzen Körper, ein unsichtbares Tuch, das ein ungeduldiger Gott mit großer Gewalt über die Dächer der Superba zerrte, dieser Stadt, die einen gefangen nahm mit der düsteren Schönheit ihrer allzu engen Gassen. Ein kurzer Gedanke durchfuhr ihn an die Zeit, die hinter ihm lag, und das reichte, um die Haltung des Mannes zu verändern. Er straffte sich, ballte unwillkürlich die Faust unter dem Mantel. Dann bückte er sich nach der Katze, packte sie und steckte sie in seine Manteltasche. Er schloss die Augen, um den Hafen hinter diesen Mauern um so deutlicher zu sehen. Das Wasser in seinem Becken zuckte und kräuselte sich in der Seebrise, und die kleinen Wellenkronen darauf glänzten perlmuttfarben wie Schuppen eines frisch gefangenen Fisches. Jetzt roch er auch das Meer. Der Geruch des Wassers war stärker als der des Kots der Menschen und Tiere um ihn herum, als die Essensdünste, die aus den Fensterhöhlen über ihm drangen. Noch etwas anderes nahm er nun deutlicher wahr: ein fernes Rauschen hinter den Häusern. Das war das eigentliche Meer, nicht jener armselige Teil von ihm, der im Hafenbecken gefangen lag. Jenes Meer war wild. Er wusste, es litt die Schiffe auf seinem Rücken nicht immer, sondern verschlang sie zuweilen, um sie in einem Magen voller grüner, bitterer Galle zu verdauen. Und es hatte einen breiten Rücken. Im Süden lag Afrika mit seinen unergründlichen Geheimnissen, im Osten das Land der Muselmane, das voller Rätsel war, und Griechenland mit seiner untergegangenen Kultur, im Norden Italien und Frankreich und im Westen Spanien, drei gewaltige und dennoch bröckelnde Quader im Bollwerk gegen das Andrängen der Horden unter dem Zeichen des Halbmondes. Nur einen winzigen Ausgang gab es zwischen Ceuta und Gibraltar, den mächtigen Säulen des Herkules. Das Meer war häufig wütend dort, so hieß es, als wollte es hinaus zum großen Außenmeer, dieser endlosen, grauen Salzwüste am Ende der Welt. Auch er wollte am liebsten dort hinaus, weg von diesem Land mit seinen leichtfertigen Bewohnern. Darum hatte er alles heimlich beobachtet, was an den Kaimauern geschah, und er hatte dabei seine langen Haare unter einer Kopfbedeckung verborgen, um nicht erkannt zu werden. Doch wer sollte ihn überhaupt erkennen können? Niemand rechnete mit ihm in dieser Stadt. Er war aus dem letzten Ort fortgegangen, heimlich und schnell. Ein Pesttoter in einer Grube aus ungelöschtem Kalk konnte nicht schneller verschwinden, aufgefressen von der blasigen Hitze der weißen Erde. Und er war bereit, alles zu riskieren, nur um endlich diesem Wanderleben zu entkommen, das ihn seit Jahren mit seiner Ruhelosigkeit quälte. Jetzt hörte er das dünne Geläut einer Kirchenglocke, die die Gläubigen zur Nachtmette rief. Er griff in seine Hosentasche, holte einen eiförmigen Gegenstand hervor und klappte ihn auf. Die Zeiger standen auf Elf. Das Wunderwerk funktionierte also immer noch einwandfrei. Wie ein kleiner Käfig für den Vogel Zeit kam es ihm vor. Er hütete die Reiseuhr mit besonderer Sorgfalt, seit er sie in Nürnberg als Bezahlung für ein Gemälde erhalten hatte. Wenig später stieg er vorsichtig ein paar glitschige Stufen die Molenmauer hinab zu einem kleinen Podest, das nur eine Handbreit übers Wasser ragte und von wo aus niedrige Boote beladen werden konnten. Er griff in seine Manteltasche, holte die Katze heraus und setzte sie neben sich. Die Augen des Tieres leuchteten im Mondlicht wie Chrysolith. Beide starrten sie in das dunkle, übelriechende Wasser, auf dem Blasen trieben. Sterne spiegelten sich darin, in kleinen Kreisen tanzend. Über der Reling eines Schiffes, das in der Nähe an der Mole vertäut war, sah