Die weiße Festung (gebundenes Buch)

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783446207363
Sprache: Deutsch
Seiten: 224 S.
Fomat (h/b/t): 2 x 21 x 13 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Ein junger Venezianer wird in die Türkei entführt, um dort einem Schriftgelehrten zu dienen. Die beiden ähneln sich auf nahezu unheimliche Weise und der Herr ist begierig, von seinem Diener mehr über die Kultur, die Erfindungen und die erworbenen Kenntnisse des Abendlands zu erfahren. Nach den absonderlichsten gemeinsamen Erfindungen und einem vergeblichen Feldzug des Sultans trennen sich nach vielen Jahren ihre Wege - einer kehrt nach Venedig zurück, der andere in die türkische Provinz. Ein Roman über das Zusammentreffen zweier Kulturen im Istanbul des 17. Jahrhunderts.

Autorenportrait

Homepage von Orhan Pauk (Englisch)

Leseprobe

Wir gingen sofort ans Werk. Der Hodscha besaß jetzt die Entschlußkraft eines Menschen, der sein Ziel klar vor Augen hat. Mir gefiel diese Entschiedenheit, die ich zuvor nie so recht bei ihm wahrgenommen hatte. Da man ihn, wie wir wußten, am nächsten Tag wieder rufen würde, entschieden wir uns fürs Zeitgewinnen. Über eines aber einigten wir uns sogleich, nicht allzuviel mitzuteilen nämlich, doch müßte, was wir mitteilten, sich auch umgehend bewahrheiten. Mit seinem von mir so bewunderten Scharfsinn war der Hodscha sehr schnell zu der Ansicht gelangt: 'Weissagen ist Narrheit, doch gut dafür, den Toren zu imponieren!' Er ließ seine Zustimmung erkennen, als ich ihm erklärte, die Pest sei ein Verhängnis, dem man nur mit vorbeugenden Maßnahmen beikommen könne. Gleich mir bestritt auch er nicht den Willen Allahs in dieser Katastrophe, doch war dies nur etwas Mittelbares, weswegen wir Sterblichen ohne Skrupel tätig werden und gegen die Seuche vorgehen konnten, und das würde Allah in seinem Stolz auf keine Weise verletzen. Hatte nicht auch der heilige Omar den Ebu Übeyde von Syrien nach Medina beordert, um dessen Heer vor der Pest zu bewahren? Der Hodscha würde vom Sultan zu dessen eigenem Schutze erbitten, seinen Umgang mit anderen auf ein Mindestmaß zu beschränken. Uns kam sehr wohl der Gedanke, dem Herrscher Furcht vor dem Tod ins Herz zu senken, um ihn zum Verordnen der notwendigen Maßnahmen zu zwingen, doch war dies gefährlich. Man ließ den Padischah nicht zur Genüge allein, so daß es kaum möglich sein würde, ihn mit poetischen Darstellungen vom Sterben in Furcht zu versetzen, und selbst wenn ihn des Hodschas Beredsamkeit bewegen sollte, so gab es noch die stupide Menge um ihn herum, mit welcher er diese Furcht teilen und am Ende wieder besiegen konnte. Zudem vermochten jene ebenso Unverschämten wie Dummen jederzeit den Hodscha des Unglaubens zu bezichtigen. Wir griffen aus diesen Gründen auf meine Kenntnisse der Literatur zurück und erfanden eine Geschichte. Was dem Hodscha am meisten Sorgen machte, war die Forderung nach einer genauen Voraussage für das Ende der Pestilenz. Ich ahnte, daß wir die tägliche Zahl von Pesttoten beachten mußten, doch machte dies wenig Eindruck auf den Hodscha, als ich's ihm sagte. Er werde, um Zählungen davon zu erhalten, den Padischah um Hilfe bitten, das aber mußte wieder mit einer anderen Geschichte maskiert werden. Ich glaube nicht unbedingt an die Mathematik, doch waren uns die Hände gebunden. Er machte sich am nächsten Morgen auf den Weg zum Palast, ich ging in die Stadt, mitten hinein in die sich ausbreitende Seuche. Meine Furcht vor der Pest war unverändert groß, doch der Wunsch, den gewaltigen Strom des Lebens, die Geschicke der Welt, wenn auch nur ein klein wenig, mit eigener Hand zu lenken, hatte mir den Kopf verdreht. Es war ein kühler, windiger Sommertag, und während ich zwischen Toten und Sterbenden umherlief, dachte ich, daß mir das Leben seit Jahren nicht mehr so lieb gewesen war. Ich betrat die Höfe der Moscheen, notierte die Zahl der Särge auf einem Zettel, lief dann durch die umliegenden Viertel und suchte nach dem, was meine Beobachtungen und die Zahl der Toten verband. Es war nicht leicht, in all den Häusern, den Menschen, dem Gedränge, der Fröhlichkeit, der Trauer und der Freude einen Sinn zu erkennen. Außerdem gewahrte mein seltsam hungriges Auge nur Teilstücke aus anderer Leute Leben, erfaßte glückliche, ausweglose, gleichgültige Momente, die die in einem Hause beisammenwohnenden Menschen als einander Nahestehende, als Geschwister erlebten. Gegen Mittag setzte ich, betäubt vom Andrang der Lebenden und der Toten, auf das andere Ufer nach Galata über, ging in die Kaffeehäuser der Werkleute nahe der Werften, rauchte verstohlen eine Pfeife Tabak, und bloß weil ich die Sache verstehen wollte, aß ich in einer Garküche, suchte die Märkte auf und die Geschäfte. Ich wollte jede Einzelheit in mein Gedächtnis eingraben, um aus dem Ganzen ein Ergebnis zu ziehen. T ...