Die Architekten (gebundenes Buch)

23,00 €
(inkl. MwSt.)

Vergriffen

in den Warenkorb
Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783570004418
Sprache: Deutsch
Seiten: 384 S.
Fomat (h/b/t): 3.6 x 22.1 x 14.5 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Er wolle sein Werk vollständig publiziert haben, "bevor es soweit ist", sagte der 86-jährige Stefan Heym anlässlich einer Lesung aus dem seit Mitte der 60iger Jahre unveröffentlichten Roman "Die Architekten". Illusionslos und doch voll Poesie ist die Geschichte um Aufstieg, Fall und endliches Überleben des DDR-Stararchitekten Arnold Sundstrom eine Abrechnung mit Machtgier, Untertanengeist und stalinistischer Willkür. Heym erzählt, wie Menschen am Verlust einer sicher geglaubten politischen Moral zu zerbrechen drohen, während andere sich längst all solcher Werte entledigt haben. Heyms altes neues Buch beantwortet genauer als jede politische Analyse, wie das DDR-System lange funktioniert hat und warum es auf so jämmerliche Weise zu Grunde gehen musste. "Die Architekten", ein erschreckend aktueller Roman über die Amoralität der Macht, sind gültig in Ost wie West.

Autorenportrait

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In den 50er Jahren, gefährdet durch die Intellektuellenhatz des Senators McCarthy, kehrte er nach Europa zurück u

Leseprobe

Bald würden sie in Brest eintreffen, hörte er einen der Wachposten sagen. Die Posten spielten Domino; sie hieben ihre kleinen schwarzen Steine krachend auf ein Brett, das sie sich quer über die Knie gelegt hatten, und rauchten Machorka. Der Waggon, für Güter und Pferde gedacht, nicht für Menschen, ratterte über die ausgefahrenen Gleise, und der Geruch nach Schweiß und Angst wollte sich nicht verziehen, obwohl die Belüftungsklappen unter dem Dach so weit es ging offenstanden und sogar die Ladetür in der Seitenwand um einen Spaltbreit beiseite geschoben worden war. Brest, dachte er. Seit vergangenem Jahr - soviel war durch Gefängnismauern und über die sibirische Taiga gedrungen - waren Stadt und Festung Brest wieder sowjetisch. Jenseits von Brest lag die neue Grenze, lag das Großdeutschland der Nazis. Die Unruhe, die ihn zermürbte, seit er erfahren hatte, daß er aus der Sowjetunion abgeschoben werden sollte, schien sich auf einen einzigen Brennpunkt in seinem Innern zu konzentrieren; und es kostete ihn viel Nervenkraft, um wenigstens ein Minimum an Gleichgewicht in seinem Herzen zu wahren: Was, im Grunde, würde dem Genossen Julian Goltz denn Schlimmeres widerfahren als eine Art von Strafversetzung aus der Bratpfanne ins Feuer. Mit seinem Leben hatte er sowieso abgeschlossen. Der Tod von Babette, so grausam der Gedanke ihm auch erschien, hatte zugleich auch das Ende der Sorgen um seine Frau bedeutet; nur die Angst um Julia war geblieben, doch war sogar auch diese Angst nun leichter zu ertragen, da er hoffen durfte, daß Sundstrom, mit seinem Talent und seinen Beziehungen, einer Verhaftung entgangen war und so sich des Kindes annehmen konnte. Sein eigener Weg verlief da simpler: Nur noch eine kurze Zeremonie stand ihm bevor an der Grenze - ein Akt freundlicher internationaler Zusammenarbeit, durch welchen eine Großmacht einer anderen einen unbequemen Kommunisten geheimpolizeilich übergab - und dann würde er zu neuen Verhören geschafft werden, Verhören nun nicht mehr durch Dmitrij Iwanitsch oder Iwan Dmitritsch, sondern durch deutsche Verhörer in einem deutschen Gefängnis, oder einem Lager, und irgendwann würde es wohl auch zu einer Wiederbegegnung kommen mit Genossen, die er seit sieben Jahren, seit 1933 genau, nicht mehr gesehen hatte: Überlebenden wie er selber einer war. Der schmale Streifen Landschaft in der offenen Schiebetür des Waggons begann zu schwanken. Das Herz in seiner Brust zog sich zusammen: Was würde er diesen Genossen sagen? Das war ein ganz neuer Gedanke, der ihn auf eine ganz neue, eigenartige Weise erschreckte. Die Wahrheit? Durfte er ihnen die Wahrheit sagen: daß er und Babette verhaftet worden waren wie Volksfeinde, um vier Uhr morgens, vier Uhr zehn, genauer; und weggesperrt wurden; und daß man sie hungern ließ und geschlagen hatte; und daß man sie am Schlafen gehindert hatte während des Tages und sie nächtens verhörte, Nacht um Nacht, bis Schmerz und Erschöpfung auch die letzte Gehirnwindung erfüllten.? Daß man all dies ihnen getan hatte, um Geständnisse von ihnen zu erpressen von Verbrechen, die ihnen niemals auch nur eingefallen wären, wobei Iwan Dmitritsch und Dmitrij Iwanitsch ihnen Stunde um Stunde die gleichen gelben, linierten Bogen Papier hinschoben zur Unterschrift.? Daß man ihn hatte verfaulen lassen in einem stinkenden Loch, in welches man ihn mit einer ständig wachsenden Anzahl ebenso stinkender Menschen hineingepfercht hatte - Mensch, wie stolz das klingt!, hatte Gorki einmal gesagt -, mit verwirrten und verstörten Geschöpfen, die blind vor sich hinstarrten oder in schrille Hysterie verfielen und sich um einen Löffel voll Fraß prügelten; Menschen wie er selber einer war, die auf irgendwelche von irgendeiner anonymen Dienststelle irgendwann getroffenen Entscheidungen warteten.? Und diese Wahrheit Genossen bekennen, die ähnlich Fürchterliches erlebt hatten wie er und doch sich aufrecht erhalten hatten in dem bedingungslosen Glauben an das Land, dessen Gebiet hier, hinter Brest, endete,