Am Äquator (gebundenes Buch)

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783570008713
Sprache: Deutsch
Seiten: 472 S.
Fomat (h/b/t): 3.7 x 22 x 14.5 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Sinnlichkeit, Magie und Melancholie. Als der Lissaboner Müßiggänger Luis Bernardo Tavares im Dezember 1905 von seinem König ein ungewöhnliches Angebot erhält, gibt eine Liebesaffäre den Ausschlag für die Entscheidung: Luis geht als Gouverneur in die am Äquator gelegenen portugiesischen Kolonien São Tomé und Príncipe. Dort soll er den Vorwurf der Engländer entkräften, Portugal dulde auf den Kakaoplantagen Sklavenarbeit. Auf den Inseln empfangen Luis die feuchte Hitze der Tropen, eine faszinierend fremde Wildnis und die Feindschaft der Plantagenbesitzer. Mit allen Sinnen erkundet er die neue Welt. Er ersehnt bald die tägliche Stunde des Regens und spürt die unendliche Trauer der schwarzen Plantagenarbeiter. Entschlossen, ihre Lage zu bessern, riskiert Luis den Krieg mit fast allen Weißen. Sie klammern sich an ihre überkommenen Privilegien und begreifen nicht, welche Gefahr am Horizont heraufzieht. Auch die Ankunft des englischen Konsuls David Jameson ändert daran nichts. Luis gewinnt David, auch er ein in die Tropen Verbannter, schnell zum Freund - bis eine gefährliche Leidenschaft für dessen Frau Ann Luis' Mission und seine Existenz erschüttert. Miguel Sousa Tavares erzählt in seinem opulenten Roman von einer obsessiven Liebe ohne Zukunft in einer Gesellschaft, deren Zeit abgelaufen ist. Dieser grandiose Abgesang auf eine versunkene Epoche erinnert an die 'Hundert Jahre Einsamkeit' von Gabriel Garcia Marquez. Miguel Sousa Tavares erzählt voller Hingabe eine ungewöhnliche Liebesgeschichte vor dem historischen Panorama der Kolonialinsel São Tomé. Standesbewusstes Ehrgefühl vermischt sich mit der Melancholie der tropischen Abgeschiedenheit - und eine Leidenschaft erblüht, die ihre Kraft nur aus dem erahnten Ende einer großen Epoche ziehen kann.

Leseprobe

1 Sind die Dinge erst einmal geschehen, kommt man zwangsläufig ins Grübeln, wie wohl das Leben verlaufen wäre, hätte man anders gehandelt. Hätte Luís Bernardo Valença gewusst, was das Schicksal für ihn bereithielt, wäre er an diesem regnerischen Dezembermorgen des Jahres 1905 vielleicht niemals am Bahnhof Barreiro in den Zug gestiegen. Doch nun saß er bequem zurückgelehnt in den rotsamtenen Erste-Klasse-Polstern und ließ in aller Ruhe die Landschaft an sich vorüberziehen, sah zu, wie die weite Ebene des Alentejo mit ihren Korkeichen und Olivenbäumen sich vor ihm auftat, wie die Wolkendecke, die über Lissabon noch dicht geschlossen gewesen war, zaghaft aufriss und eine tröstliche Wintersonne zum Vorschein kommen ließ. Die trägen Reisestunden bis Vila Viçosa versuchte er mit der einschläfernden Lektüre seiner Tageszeitung zu füllen. O Mundo, ein gemäßigt monarchistisches und zugleich entschieden liberales Blatt, sorgte sich, wie schon der Name andeutete, um den Zustand der Welt und der 'Eliten, die sie regieren'. An diesem Morgen berichtete O Mundo über eine Regierungskrise in Frankreich, ausgelöst durch die Baukosten des Suezkanals, den der Ingenieur Lesseps wie ein Besessener vorantrieb, ohne dass ein Ende der Arbeiten abzusehen war. König Edward VII. dagegen feierte auch dieses Jahr seinen Geburtstag im trauten Kreis der Familie, beglückwünscht von allen Königen, Radschas, Scheichs und Stammeshäuptlingen des riesigen Imperiums, in dem, wie O Mundo in Erinnerung rief, die Sonne niemals unterging. Was Portugal betraf, gab es eine neuerliche Strafexpedition gegen die Eingeborenen im Hinterland von Angola zu vermelden, eine weitere Episode des heillosen Durcheinanders, in dem die Kolonie zu versinken drohte. Und in São Bento war es erneut zu Streitereien zwischen den Abgeordneten der Erneuerungspartei von Hintze Ribeiros und den Progressiven um José Luciano de Castro gekommen: Die Liste der von der öffentlichen Hand für den Unterhalt des Königshauses zu übernehmenden Aufwendungen wurde lang und länger, ohne dass das Geld je zu reichen schien. Er war siebenunddreißig Jahre alt, Junggeselle und in dem Maße unsolide, wie die Umstände und seine Herkunft es ihm erlaubten - ein paar Chorsängerinnen und Tänzerinnen mit entsprechendem Ruf, gelegentlich eine Verkäuferin aus der Baixa, zwei, drei tugendhafte verheiratete Damen der besseren Gesellschaft sowie eine viel gerühmte und ebenso umstrittene deutsche Sopranistin, die drei Monate im São Carlos gastiert hatte; allerdings war er wohl nicht deren einziger Freier gewesen. Kurz, er war ein Mann, der sich gern den Frauen hingab, aber ebenso sehr auch der Melancholie. Mit zweiundzwanzig hatte er in Coimbra sein Jurastudium abgeschlossen, doch zum Leidwesen seines inzwischen verstorbenen Vaters beschränkte sich die geplante Anwaltskarriere auf ein kurzes Praktikum bei einem angesehenen Rechtsanwalt in Coimbra, aus dem er erschöpft und von seiner vermeintlichen Berufung für immer geheilt hervorging. Er kehrte ins vertraute Lissabon zurück, wo er verschiedenen Tätigkeiten nachging, bis er vom Vater die Stellung des Haupteigners der Schifffahrtsgesellschaft Insular übernahm: drei Schiffe von jeweils rund zwölftausend Registertonnen, die zwischen der Insel Madeira und den Kanaren, den Azoren und den Kapverdischen Inseln Frachtgut und Passagiere beförderten. Die Büroräume der Companhia Insular befanden sich in einem Gebäude am Ende der Rua do Alecrim. Die fünfunddreißig Angestellten waren über die vier Stockwerke des im pombalinischen Stil errichteten Hauses verteilt, und Luís Bernardo selbst saß in einem weitläufigen Saal mit Blick auf den Tejo, welchen er tage-, monate- und jahrelang mit der Aufmerksamkeit eines Leuchtturmwärters beobachtete. Anfangs hatte er sich eingebildet, von dort aus eine atlantische Flotte und gleichsam einen Teil der Weltgeschichte zu kontrollieren: Gingen Telegramme oder Funksprüche seiner einzigen drei Schiffe ein, so versicherte er sich umgehend ihrer aktuellen