Politiknetzwerke und politische Steuerung (Paperback)

Politiknetzwerke und politische Steuerung

Institutioneller Wandel am Beispiel des Bologna-Prozesses, Staatlichkeit im Wandel 12

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783593390390
Sprache: Deutsch
Seiten: 326 S.
Auflage: 1. Auflage 2009
Bindung: Paperback

Beschreibung

Politiknetzwerke sind aufgrund ihrer losen und eher informellen Struktur zu wichtigen Hoffnungsträgern innerhalb der Steuerungsforschung avanciert. Jenseits der Überregulierung des Staates und der Willkür des Marktes gelten sie als probate Steuerungsmittel, die eine demokratische und effiziente Entscheidungsfindung möglich machen. Am Beispiel des transnationalen Bologna-Prozesses untersucht Alexander-K. Nagel, ob Politiknetzwerke tatsächlich dauerhaft die Vorzüge von Markt und Staat vereinen können oder ob sie aufgrund institutioneller Dynamiken mittelfristig nicht auch in alte, überregulierte Formen zurückfallen.

Autorenportrait

Alexander-Kenneth Nagel ist Juniorprofessor am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Universität Bochum.

Leseprobe

Als Ausgangspunkt eines institutionlistischen Verständnisses politischer Steuerung kann gelten, dass die Steuerungsformen Staat, Markt und Netzwerk nicht als distinkte, idiographische Einheiten gedacht werden, sondern vielmehr als idealtypische Manifestationen auf einem Kontinuum institutioneller Entscheidungsfindung. Zur Determination der institutionellen Eigenschaften können zunächst die allgemeinen Kriterien des qualifizierten Institutionenbegriffes von Rainer Lepsius herangezogen werden, der im voran gegangenen Kapitel eingeführt worden ist. Als "soziale Strukturierungen, die einen Wertbezug handlungsrelevant werden lassen" (Lepsius 1995: 394), haben Institutionen eine strukturelle und eine ideell-normative Dimension. Auf dem institutionellen Kontinuum politischer Steuerung finden diese Eigenschaften ihre Entsprechung in der Stabilität beziehungsweise Flexibilität (strukturelle Dimension) und in der Formalität beziehungsweise Informalität der Entscheidungsfindung (normative Dimension). Staatliche Steuerung unterscheidet sich also von Netzwerksteuerung grundsätzlich durch größere Stabilität sowie durch eine stärkere Formalisierung des Entscheidungsablaufs. Dies drückt sich in festen Dienstwegen ebenso aus wie in durch Recht oder Verordnung klar umgrenzten Entscheidungs- und Ermessensspielräumen. Netzwerksteuerung unterscheidet sich ihrerseits von marktförmiger Steuerung durch dichtere Interaktionsstrukturen (Stabilität) und bestimmte Reziprozitätserwartungen oder eingelebte Normen des Austauschs (Formalität). Zudem bietet die Institutionenanalyse ein systematisches Raster zur weiteren Bestimmung von Steuerungsinstitutionen als Vermittlungsinstanzen zwischen Überzeugungen von "Good Governance" und dem konkreten Verhalten im Entscheidung- und Aushandlungsprozess. Neben der graduellen Unterscheidung nach Stabilität/Flexibilität und Formalität/Informalität lassen sich Steuerungsformen nunmehr qualitativ aufgrund ihrer Leitideen, Rationalitätskriterien und Handlungskontexte charakterisieren. Steuerungsinstitutionen am Marktpol des institutionellen Kontinuums sind durch ein Minimum an Stabilität und Formalität gekennzeichnet. Ihre Interaktionsstruktur ist flexibel bis prekär (strukturelle Dimension) beziehungsweise informell bis arbiträr (normative Dimension). Die normative Leitidee marktförmiger Steuerung zielt auf Legitimität durch Wettbewerb. Ausgehend von der Annahme, dass sich im Wettstreit aller Positionen die besten und gesellschaftlich nützlichen Steuerungsimpulse durchsetzen, gehört es zu den Rationalitätskriterien dieses Typus, eine breite Teilhabe am Entscheidungsprozess bei geringer Regulierung zu gewährleisten und antagonistische Interessen unmoderiert im Meinungskampf entscheiden zu lassen (Schumpeter 2006 [1912]; Hayek 1991). Entsprechend beruht der Handlungs- oder Geltungskontext marktförmiger Steuerung auf der jeweiligen spontanen Interessenlage der beteiligten Akteure. Aus institutionenökonomischer Perspektive ist Marktsteuerung besonders für standardisierte Regelungstatbestände geeignet, die auch in größeren sozialen Gefügen klar zurechenbar sind (etwa Personenstandsrecht, Anreize für Unternehmen) (Powell 1996: 222f.; Olson 1992: 8ff.). Netzwerke als Steuerungsinstitutionen sind durch eine bedingte Flexibilität (strukturelle Dimension) sowie durch informelle Konventionen der Interaktion gekennzeichnet (normative Dimension). Ihre Leitidee lässt sich als Legitimität durch Konsens bestimmen. Dazu muss auf der Ebene der Rationalitätskriterien der Zugang zum Entscheidungsprozess restringiert, zugleich aber eine breitere Teilhabe als bei staatlicher Steuerung gewährleistet werden. Um einen weitgehenden Ausgleich der beteiligten Interessen zu garantieren, unterliegt der Aushandlungsprozess einer ständigen sozialen Kontrolle nach Maßgabe der herrschenden Normen von Gegenseitigkeit. Entsprechend beruht der Handlungskontext auf der affektiven Identifikation des Einzelnen mit dem Kollektiv der Entscheidungsträger sowie auf der Erwartung an die Gültigkeit der Reziprozitätsnorm. Aus institutionenökonomischer Sicht lässt sich der Objektbereich von Netzwerksteuerung durch spezifische Regelungstatbestände und umfassende Betroffenheit charakterisieren (Powell 1996: 224f.). Internationale Bildungs- und insbesondere Hochschulpolitik sind dafür ein gutes Beispiel: die enge Kopplung an andere Politikbereiche (etwa Wirtschaft und Arbeitsmarkt) sowie die enge Bindung an das nationalstaatliche Selbstverständnis machen sie zu einem hoch spezifischen Politikfeld und erfordern weit reichende Expertise. Zugleich greifen die Steuerungsresultate umfassend über den eigentlichen Regelungstatbestand hinaus in andere Politikfelder. Steuerungsinstitutionen am Staatspol schließlich sind durch hohe Stabilität (strukturelle Dimension) und starke Formalisierung gekennzeichnet (normative Dimension). Wo die relative Stabilität von Netzwerken auf eingelebter Gewohntheit beruht, steht hier die staatsorganisationsrechtliche Satzung; wo der Austausch in Netzwerken durch informelle Normen bestimmt ist, steht hier das bürokratische Primat des Dienstwegs. Entsprechend lässt sich die Leitidee staatlicher Steuerung als Legitimität durch Verfahren beschreiben, insoweit die Entscheidungsfindung durch kodifizierte, prozedurale Normen strukturiert wird (Luhmann 1997). Es gehört zu den Rationalitätskriterien staatlicher Steuerung, dass der Zugang zum Entscheidungsfeld auf eine kleine Anzahl entsprechend ermächtigter Akteure beschränkt ist, die über ein formales Kontrollsystem von checks and balances austariert sind. Der Handlungskontext beruht auf gesatzten Sanktionen für ordnungswidrige Entscheidungsabläufe. Aus institutionenökonomischer Sicht liegt der opportune Objektbereich staatlicher Steuerung bei hoch spezifischen Regelungstatbeständen mit universeller Wirkung (Powell 1996: 223f.). Ein klassisches Beispiel sind hier sozialpolitische Umverteilungsdebatten, aber auch die Herstellung und Erhaltung von Kollektivgütern und mithin Umweltschutz- und Infrastrukturpolitik (vgl. auch Olson 1992: 13). Tabelle 3 fasst die genannten Eigenschaften von Steuerungsinstitutionen noch einmal zusammen. Eine Institutionenanalyse politischer Steuerung begegnet also dem Problem der Unterdeterminiertheit von Steuerungsformen, indem sie allgemeine (strukturell und normativ) und besondere institutionelle Dimensionen herausstellt (Leitidee, Rationalitätskriterien und Handlungskontext), anhand derer sich die Steuerungsinstitutionen idealtypisch gegeneinander kontrastieren lassen. Wie aber verhält es sich mit den Problemen von Akteursqualität und Transzendenz als analytischer Herausforderung der vertikalen Integration sowie mit der geschichtsphilosophischen Aufladung als Herausforderung der genetischen Integration von Steuerungsformen?

Schlagzeile

Staatlichkeit im Wandel - Sonderforschungsbereich der Universität Bremen