Der schöne Schatten (gebundenes Buch)

Der schöne Schatten

Meeresnovelle

14,80 €
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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783887472696
Sprache: Deutsch
Seiten: 102 S.
Fomat (h/b/t): 1.3 x 22 x 14.7 cm
Bindung: gebundenes Buch

Autorenportrait

Peter Henning, 1959 in Hanau geboren, lebt als Schriftsteller und Journalist (Spiegel, WDR, Süddeutsche) in Köln. Sein Roman 'Die Ängstlichen', 2009 lange auf den Bestsellerlisten, wurde landauf landab als der Roman unserer Zeit, als der beste Roman des Jahres bezeichnet. Im Herbst 2011 erschien sein neuer Roman 'Leichtes Beben'. Zahlreiche Preise und Auszeichnungen, zuletzt das 'Grenzgänger'-Stipendium der Bosch-Stiftung.

Leseprobe

EinsMax Wahlberg stemmte sich gegen den Wind, warf die Reisetasche in den Kofferraum, stieg in seinen Wagen und ließ den Motor an. Dann schaltete er die Wischer ein, weil schwere Regentropfen gegen die Scheibe schlugen, legte den ersten Gang ein und manövrierte den Seat aus der Parklücke.Ohne ein genaues Ziel vor Augen hatte er vor dem offenen Schrank im Schlafzimmer gestanden und wahllos Kleidungsstücke in seine Reisetasche geworfen. An der Garderobe in der Diele hatte er seine Lederjacke vom Bügel gerissen, sie sich übergeworfen und auf Brusthöhe seine Brieftasche ertastet. Sein Handy hatte in der linken Seitentasche gesteckt, die Autoschlüssel lagen auf dem Schränkchen mit den Telefonbüchern. Ohne sich noch einmal umzudrehen, hatte er die Wohnungstür hinter sich ins Schloss gezogen und war in den Aufzug gestiegen. Er wollte einfach nur weg. Der Brief des Dekans war am Vortag gekommen. Er solle "in Angelegenheiten" seiner Examensarbeit, wie es dort hieß, ins Dekanat kommen und sich einem Gutachterausschuss stellen. In drei Tagen. Doch um diese Zeit wäre er längst am Meer. Max stellte sich vor, wie die Herren in dem von Neonlicht erhellten Seminarraum säßen, vergebens auf ihn warteten und einander irgendwann achselzuckend ansähen."In Angelegenheiten" war eine verdeckte Drohung, so als richte jemand eine geladene, in einer Manteltasche steckende Waffe auf ihn. Dabei war alles ganz einfach: er hatte eine bereits veröffentlichte Arbeit abgeschrieben und als seine ausgegeben, hatte das Manuskript zum Buchbinder gebracht und anschließend eingereicht. Und sie waren dahinter gekommen, was, das hatte er vorher gewusst, den unverzüglichen Ausschluss aus dem Universitätsbetrieb bedeutete und zur Folge hatte, dass seine akademische Laufbahn damit unwiderruflich und für alle Zeit beendet wäre. Trotzdem hatte er die Arbeit des Anderen in großen Teilen übernommen. Aus Mangel an Kraft und Ehrgeiz, aber auch, weil er keine Lust mehr hatte, sich länger in ein System zu fügen, das er nicht mochte."In Angelegenheiten". Er ließ sich die ungelenke Formulierung, hinter der sich nichts anderes als sein aufgeflogener Betrug verbarg, auf der Zunge zergehen. Und stellte sich dabei vor, wie er das Dekanatsschreiben, das Zeugnis seiner Niederlage, das in seiner Jackentasche steckte, später, wenn er am Meer wäre, genüsslich zerreißen und die Papierschnipsel wie Konfetti in den Wind schleudern würde.Er lenkte den Wagen auf die Schnellstraße. Eine kräftige Böe wehte trockene Blätter über den Asphalt und ließ sie in Spiralen aufwirbeln. Wenig später wechselte er auf die Autobahn in Richtung Arnheim. Der Himmel war aufgerissen. Zwischen dem tief hängenden, vom Sturm hin- und her getriebenen Grau zeigten sich trotz des Regens erste zaghafte Spuren von Blau. Wenn er sich ranhielt, könnte er in zweieinhalb Stunden in Amsterdam und noch eine Stunde später in Zandvoort am Meer sein.Max nahm eine Zigarette aus der auf dem Beifahrersitz liegenden Schachtel, schob sie sich in den Mundwinkel und klickte das Feuerzeug an. Zufrieden sog er den Rauch in seine Lungen ein und behielt ihn dort solange, bis er den vertrauten leichten Schwindel im Kopf spürte. Anschließend blies er ihn aus dem spaltweit herunter gedrehten Seitenfenster. Aus den Boxen lärmten Coldplay, und Max stellte sich das ungläubig erstarrte Gesicht seiner Mutter vor, wenn sie von seinem Betrug und den damit verbundenen Konsequenzen erfuhr.Er steigerte mit einem Griff zum Regler die Lautstärke, um ihre Stimme in seinem Kopf zu übertönen, die, sobald er auch nur an sie dachte, darin anhob wie die ersten Takte einer viel zu oft gehörten Melodie.Kurz vor Arnheim fuhr er, müde von der immer gleichen Sitzhaltung und der Eintönigkeit der vorbei ziehenden Landschaft, eine Raststätte an. In der Toilette klatschte er sich über das Waschbecken gebeugt mit zur Kuhle geformten Händen das eiskalte Wasser ins Gesicht. Anschließend blätterte er gelangweilt in den Automagazinen, die zwischen den Tageszeitungen und Fraue