Die Moral der Nationalsozialisten (gebundenes Buch)

Die Moral der Nationalsozialisten

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Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783957682048
Sprache: Deutsch
Seiten: 550 S.
Fomat (h/b/t): 4.7 x 24.6 x 18.5 cm
Auflage: 1. Auflage 2019
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Das Buch ist dem moralischen Denken von ­Nationalsozialisten gewidmet. Im Zentrum steht das Selbstverständnis von NS-Tätern. Führende Nationalsozialisten waren subjektiv fähig, ihr Handeln in Übereinstimmung mit ihren eigenen moralischen Überzeugungen (scheinbar) zu rechtfertigen. Wie aber ist es möglich, Böses mit gutem Gewissen zu tun? Zur Beantwortung dieser Frage werden Mechanismen der Selbstrechtfertigung analysiert. Täter, die mit ihrem verbrecherischen Tun innerlich übereinstimmten, haben sich auf rational inakzeptable und moralisch illegitime Rechtfertigungen gestützt. Im Ergebnis zeigt sich, dass die nationalsozialistischen Selbstrechtfertigungen nur zum Teil auf eine 'andere Moral' der Nationalsozialisten zurückzuführen sind. Als wichtiger stellt sich der Umstand heraus, dass die ideologisch überzeugten Nationalsozialisten von anderen außermoralischen (nicht-moralischen) Annahmen ausgingen und andere außermoralische Überzeugungen hatten. Diese Erkenntnis wirft ein Licht auf die Art ihres moralischen Versagens: Insoweit Nationalsozialisten als 'Täter mit gutem Gewissen' handelten, haben sie vor allem kognitive Pflichten verletzt.

Autorenportrait

Prof. Dr. phil. habil. Lothar Fritze, Jahrgang 1954, Philosoph und Politikwissenschaftler, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden und außerplanmäßiger Professor an der TU Chemnitz.

Leseprobe

I.Hatten die Nationalsozialisten eine andere Moral? Hatten die Nationalsozialisten überhaupt eine Moral? Waren sie überhaupt moralisch ansprechbar? Hatte das Leiden anderer für sie irgendeine Bedeutung? Oder spielten die Bedürfnisse und Interessen der Anderen für sie keinerlei Rolle? Wer waren für Nationalsozialisten 'die Anderen'? Existierten für Nationalsozialisten moralische Pflichten? Befolgten sie moralische Normen? Welche Normen akzeptierten sie und was bedeutete es für sie, eine Norm zu akzeptieren? Glaubten sie, dass es erlaubt sein kann, eine anerkannte moralische Norm zu verletzen? Und welche Voraussetzungen mussten ihrer Meinung nach gegeben sein, damit eine solche Verletzung als erlaubt gelten kann? Und wenn die Nationalsozialisten überhaupt eine Moral hatten, hatten sie dann womöglich eine spezifisch nationalsozialistische Moral? 1.Der Maßstab: Menschenrechtsmoral Diese Fragen drängen sich angesichts der Quantität und Qualität der national­sozialistischen Verbrechen unweigerlich auf. Sie stellen sich für alle Menschen, die universell geltende Menschenrechte anerkennen. Ein solches Menschenrechts­verständnis ist insbesondere in den Gesellschaften der westlichen demokratischen Verfassungsstaaten verankert. Die Bevölkerungsmehrheiten und die höchsten staatlichen Organe dieser - und nicht nur dieser - Gesellschaften billigen jedem Menschen ein Arsenal von Rechten allein aufgrund seines Menschseins zu. Die in diesen Gesellschaften herrschenden moralischen Vorstellungen sind maßgeblich durch die Anerkennung von Menschenrechten geprägt. Selbst in Gesellschaften, in denen Menschenrechte wenig gelten und vielleicht sogar von Staatsorganen massiv verletzt werden, bekunden die staatlichen Vertreter die Aner­kennung dieser Rechte. Die über Jahrhunderte gewachsene und ausformulierte Idee, der zufolge jeder Mensch Rechte hat, die zum einen jeden anderen Einzelnen in seiner Willkürfreiheit einschränken und zum anderen durch den Staat zu achten und zu schützen sind, hat sich als in einer Weise überzeugend herausgestellt, dass ihr im Grunde nicht mehr widersprochen, sondern nur noch um ihr genaues Verständnis und ihre konkrete Ausdeutung gerungen wird. Welche Rechte als Menschenrechte zu gelten haben, kann dabei im Einzelnen umstritten sein. Nicht alle Rechte, die heute - etwa auch in Menschenrechtskonventionen internationaler Organisationen - als Menschenrechte anerkannt sind, haben die gleiche moralische Relevanz. Moralische Relevanz korreliert mit existenzieller Relevanz. Der Mensch ist ein verletzbares und sterbliches Wesen, das in einer Welt knapper Ressourcen seine Existenz reproduzieren muss. Als 'unmoralisch' oder 'verbrecherisch' in einem sozialmoralischen Sinne betrachten wir Handlungen, die wichtige Existenzbedingungen anderer Menschen zerstören, die deren Freiheit beschneiden oder deren Handlungsfähigkeit einschränken, die ­andere Menschen körperlich verletzen, psychisch drangsalieren oder ihnen das Leben nehmen, ohne dass für diese Handlungen ein gesellschaftlich anerkannter Grund besteht. Da wir nach der Moral der Nationalsozialisten angesichts ihrer Verbrechen fragen, werde ich im Folgenden ausschließlich die fundamentalen Menschenrechte im Auge haben. Als 'fundamental' bezeichne ich Rechte, deren Beachtung die Befriedigung derjenigen Bedürfnisse gewährleistet, die man befriedigen muss, um überhaupt Mensch und dieser Mensch sein und bleiben zu können. Ein solches Recht wäre zum Beispiel das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, nicht aber das Recht auf bezahlten Urlaub. Menschen, die solche Menschenrechte anerkennen, betrachte ich als die Vergleichsgruppe, wenn ich frage, ob Nationalsozialisten eine andere Moral hatten. Dabei sollte man beachten, dass jenes Ideensystem, das wir hier 'Menschenrechtsmoral' nennen, selbst interpretations- und präzisionsbedürftig ist. Selbst wenn man nur die fundamentalen Menschenrechte in den Blick nimmt, bleibt ­sowohl der genaue Charakter der Rechte als auch die Reichweite ihrer Geltung ­unklar: Welche Art von Ansprüchen hat man, wenn man ein Menschenrecht hat? Und welche Verpflichtungen ergeben sich für den jeweiligen Staat aus der universellen Geltung der Menschenrechte? 2.Eine Frage der Moral? Zu sagen, die Nationalsozialisten hatten eine andere, eine 'falsche' Moral, ist ­unproblematisch und umgangssprachlich nicht ungewöhnlich. Natürlich: Wenn jemand glaubt, Juden oder Kommunisten umbringen zu dürfen, dann hat er eine 'andere Moral' als diejenigen, die dies nicht glauben. Wer fordert, auf Mitleid mit Schwachen zu verzichten oder 'lebensunwertes Leben' auszumerzen, hat eine '­andere Moral' als wir sie haben, die eine Menschenrechtsmoral anerkennen. So zu reden ist uns vertraut, vor allem aber schafft es die nötige Distanz zu Anschauungen, die für uns psychisch nur schwer erträglich sind. Gleichwohl möchte ich im Folgenden den scheinbar selbstverständlichen ­Befund, dass die Nationalsozialisten eine andere Moral hatten, problematisieren. Dies geschieht in der Absicht, das Denken maßgebender nationalsozialistischer Täter zu vergegenwärtigen und darüber hinaus einen Beitrag zu leisten zur Aufklärung der 'inneren Logik' des moralischen Denkens generell. Lediglich festzustellen, dass Nationalsozialisten - oder auch andere Täter, die ähnlicher Verbrechen wegen schuldig geworden sind - eine andere Moral hatten, ist dafür nicht ausreichend. Die Feststellung, dass bestimmte Täter eine andere, mit der unseren inkommensurable Moral haben, befördert die Meinung, man dürfe das weitere Nachdenken über diese Sorte von Tätern getrost einstellen. Denn wenn jemand eine andere und dazu, wie wir meinen, 'falsche' Moral hat, scheint die Lösung des Problems auf der Hand zu liegen: Um ein Fehlverhalten zukünftig zu verhindern, muss den Leuten die 'richtige' Moral beigebracht werden! Ich glaube jedoch, dass diese Reaktion der Komplexität des moralischen Denkens und der von Menschen geübten moralischen Praxis nicht gerecht wird. Diese Reaktion ist insofern verfehlt, als sie uns bei der gedanklichen Bewältigung ­moralischer Verbrechen, insbesondere des von den Nationalsozialisten angerichteten Desasters, auf ein falsches Gleis führt. Wir sollten nicht glauben, dass verbrecherische Handlungen nur in Unkenntnis oder durch ein Missverstehen des übertretenen Verbots vollbracht werden können, sodass es lediglich darauf ankäme, über die Geltung und die korrekte Auslegung bestimmter moralischer Normen aufzuklären. Stattdessen möchte ich die Antwort auf die Frage, ob die Nationalsozialisten eine andere Moral hatten, zurückstellen (XI.1) und zunächst die Praxis des moralischen Denkens, die die geistigen Grundlagen für die nationalsozialistischen Verbrechen schuf, zu begreifen versuchen. Es geht um das Verständnis jener 'moralischen Praxis', das heißt jenes Systems von Denk- und Argumentationsfiguren, das für unser moralisches Denken und Handeln charakteristisch ist - von dem wir Gebrauch machen, wenn wir moralische Bedenken formulieren, Pflichten begründen, Handlungen rechtfertigen oder Verhaltensweisen und Personen bewerten. Es wird zu klären sein, inwiefern es bei der Deutung des Denkens und Handelns der Nationalsozialisten überhaupt um Fragen der Moral geht. Als den maßgeblichen Schöpfer der nationalsozialistischen Weltanschauung und Ideologie betrachte ich Adolf Hitler (AtD II.1/2). Vor allem seine Anschauungen sowie Anschauungen anderer Nationalsozialisten, die mit den seinen kompatibel erscheinen, werden daher zur Rekonstruktion der nationalsozialistischen ­Moral (NS-Moral) dienen. Dies heißt auch, dass nicht alles, was nationalsozialistische ­Autoren zum Thema 'Moral' gesagt haben, Bestandteil der NS-Moral sein muss.