Gran Via (gebundenes Buch)

Gran Via

Spanische Vorkommnisse - Roman

Auch verfügbar als:
18,95 €
(inkl. MwSt.)

Vergriffen

in den Warenkorb
Bibliographische Informationen
ISBN/EAN: 9783442311484
Sprache: Deutsch
Seiten: 319 S.
Fomat (h/b/t): 3 x 22 x 14.4 cm
Bindung: gebundenes Buch

Beschreibung

Eine pulsierende Metropole - spanische Vorkommnisse - und ein junger Deutscher auf der Suche nach dem Herz von Madrid Madrid in den Neunzigern, das ist ein Moloch voll finsterer Verlockungen und greller Existenzen. Verlockender und greller als das gut sein kann für einen jungen Deutschen mit romantischen Neigungen. Er will sich hier ein Jahr lang dem Studium der spanischen Kunst widmen und kommt sich schon nach wenigen Tagen vor wie im Inneren eines frühen Almodovarfilms. Das ist erst erschreckend, dann aber auch sehr unterhaltsam, dann wiederum eher traurig, und oft alles zusammen. Peter Richter schickt seinen Helden auf eine spanische Reise, deren Wendungen immer dramatischer werden. Denn jenseits der berühmten Prachtstraße Gran Via verlaufen Pfade, die die Desillusionierung schon in ihrem Namen tragen. Eine Geschichte über schöne Kunst und öliges Essen, verblüffende Frauen und verschlagene Männer, Deutsche im Ausland und Verhältnisse, die ihnen spanisch vorkommen. Nicht jedoch über Flamenco und auch kaum über Stierkampf!

Leseprobe

ERSTE KRISIS Palast ohne Pforten Wenige Wochen nach seinem dreiundzwanzigsten Geburtstag erlitt ein Student aus Deutschland vor dem Hochaltar des Escorial einen Schwächeanfall. Nach sechs Stunden Stehen taten die Beine ihren Dienst nicht mehr, die Kniegelenke wurden weich, und in einer schraubenden Bewegung sackte sein Körper in sich zusammen. Ich falle, dachte er, und noch im Fallen sah er Engel kreisen, er sah Marienerscheinungen, und er sah Heilige, sehr viele Heilige. Er sah den heiligen Hieronymus im Gehaus, umgeben von Schädeln, Löwen und Folianten, er sah den heiligen Laurentius sich auf seinem Grillrost räkeln, und er sah achtundachtzig weitere Heilige aus ihren Nischen treten und vorwurfsvoll mit den Palmwedeln winken: Eine Armee von Märtyrern, aufgezogen, um ihm ihre Martern unter die Nase zu reiben, ihre Folterungen, die Folterwerkzeuge und ihre dem Glaubensbekenntnis geopferten Körperteile. Er sah die heilige Agathe ihre abgeschnittenen Brüste auf einem Silbertablett vor sich hertragen wie einen Pudding zum Nachtisch, und auf dem Silbertablett der heiligen Lucia rollten die Murmeln ihrer ausgestochenen Augen: Das war das letzte, was er sah; dann ging vor seinen eigenen Augen das Licht aus. Er hörte noch, wie der Professor rief: "Was machen Sie denn da?" "Der wird ohnmächtig", erklärte jemand. Und der Professor beschied: "Lassen Sie den Unsinn!" Es ist mir bis heute unangenehm, daß dieser Student ich war. Aber das ist lange her, mehr als zehn Jahre inzwischen, und ich kann nur hoffen, daß diese Peinlichkeit mit der Zeit verblassen wird, so wie Madrid schließlich auch nicht mehr das gleiche ist wie damals. Als es noch ungehemmt laut, schlaflos und günstig war. Als die Deutschen noch nicht einmal ahnten, daß die Spanier eines Tages wohlhabender sein könnten als sie. Als Spanien auch noch nicht jeden sportlichen Wettbewerb gegen Deutschland gewann. Als der Bundeskanzler noch Khol hieß, jedenfalls in den spanischen Zeitungen. Als noch nicht jeder Depp im Internet unterwegs war, aber als nur Deppen schon Mobiltelefone mit sich herumtrugen. Und als noch keine Metro rausfuhr zum Flughafen von Barajas. Man mußte einen Bus nehmen, der an der Plaza de Colon unterhalb der Kolumbussäule in einer zugigen Tiefgarage abfuhr. Es war ein Ort, an dem sich Abschiede kurz und unsentimental gestalteten. Wer hier war, wollte so schnell wie möglich fort. Alle hatten es eilig einzusteigen, nur der Professor drückte mir noch lange die Hand und überreichte mir dann einen Beutel mit Büchern. Wenn der Finger auf den Mond zeigt, schaut der Dumme auf den Finger, heißt es, und ich konnte nicht aufhören, das nun noch kleiner gewordene Gepäck des Professors anzustarren. Alle anderen hatten ein oder zwei Koffer mit für die vierzehn Tage, der Professor kam mit einer kleinen Reisetasche aus. Ich bewunderte ihn dafür nun noch mehr als ohnehin schon. Das machte ihn ungeduldig, und er schüttelte den Bücherbeutel: Dies seien ein paar Lektüren aus seiner Zeit damals in Spanien, vielleicht könne ich die gebrauchen. Vom Bus her natürlich Neugier. Meier-Graefe und Pfandl waren zu erkennen, viel Goldschnitt, Antiquarisches, sicher wertvoll. Ich sagte, das könne ich unmöglich annehmen. Der Professor sagte: Doch doch. Und dann stieg er ein. Ich sehe noch, wie aus der Gruppe eine Frau, die Sabine hieß oder Bärbel, wer soll das heute noch wissen, durch die Fensterscheibe bösäugig zu mir herunterguckte, dann schloß der Bus die Türen, hob unter befremdlichen Flatulenzen seinen Rumpf von der Straße und ließ mich, tatsächlich ein oder zweimal winkend, mit meinem Bücherbündel als einzigen an der Haltestelle zurück. Damit war die große Exkursion des kunstgeschichtlichen Seminars zu Ende. Es war natürlich großartig gewesen, aber auch eine Tortur: Diese Leute wußten immer so viel, und diese Leute wollten auch immer alles wissen. Man kam ja keine fünf Zentimeter vorwärts in der Stunde. Jeder Stein mußte erklärt, hergeleitet und gedeutet werden. Es bed